Immer weniger Unternehmen in Baden-Württemberg gelingt es,ihre Ausbildungsplätze vollständig zu besetzen. Das ist ein zentrales Ergebnis der aktuellen Ausbildungsumfrage der baden-württembergischen Industrie- und Handelskammern. Nur noch die Hälfte der befragten Ausbildungsbetriebe konnte im vergangenen Jahr alle angebotenen Ausbildungsplätze vergeben – zwei Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. Zum Vergleich: 2019 konnten noch 70 Prozent der Betriebe all ihre Ausbildungsplätze besetzen.
„Der Bewerbermangel ist zur strukturellen Herausforderung geworden. Selbst engagierte Betriebe mit attraktiven Angeboten finden keine passenden Auszubildenden mehr“,sagt Susanne Herre,Hauptgeschäftsführerin der IHK Region Stuttgart,die innerhalb des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages (BWIHK) für die Berufliche Bildung zuständig ist. „Jetzt ist gemeinsames Handeln gefragt: Politik,Schulen und Wirtschaft müssen an einem Strang ziehen,um die Berufsorientierung zu stärken und die duale Ausbildung als attraktive Karriereoption sichtbar zu machen“,so Herre. „Berufsorientierung darf nicht nur stattfinden – sie muss wirken. Sie muss Jugendliche erreichen,ihre Lebenswirklichkeit einbeziehen und ihnen konkrete Perspektiven für ihre Zukunft eröffnen.“
Verschärfte Lage in vielen Branchen – Lichtblick Veranstaltungswirtschaft
Besonders kritisch ist die Situation in der Transport- und Logistikbranche: Rund 69 Prozent der befragten Unternehmen konnten 2025 nicht alle Ausbildungsplätze besetzen – ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Vorjahr (57 Prozent). Ähnlich betroffen sind Betriebe aus dem Handel (57 Prozent),der Industrie (55 Prozent) sowie den unternehmensorientierten Diensten (54 Prozent). „Die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage wird in bestimmten Branchen immer größer – und dies,obwohl die Unternehmen engagiert und ausbildungsbereit sind“,so Herre.
In der Veranstaltungsbranche sieht es dagegen deutlich besser aus: Hier konnten rund 70 Prozent der befragten Betriebe ihre Ausbildungsplätze vollständig besetzen – ein Plus von zehn Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr. Auch Banken und Versicherungen (64 Prozent),Immobilien- (64 Prozent) und IT-Betriebe (62 Prozent) zeigen vergleichsweise stabile Quoten.
Es fehlt an geeigneten Bewerbungen
Der größte Stolperstein auf dem Weg zur erfolgreichen Besetzung von Ausbildungsplätzen bleibt: Es fehlen passende Bewerbungen. Drei von vier der befragten Ausbildungsbetriebe berichtet,dass sie schlicht keine geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten finden – und rund ein Drittel bekommt auf ausgeschriebene Stellen gar keine Rückmeldung. Der Trend ist damit ungebrochen. Kommen doch Ausbildungsverhältnisse zustande,scheitern sie nicht selten frühzeitig: Immer häufiger sind es die Betriebe selbst,die in der Probezeit den Stecker ziehen – sei es,weil es nicht passt oder die Motivation fehlt (2025: 13 Prozent,2024: 10 Prozent). Die Zahl der Jugendlichen,die gar nicht erst zum ersten Arbeitstag erscheinen,ist im Vergleich zum Vorjahr hingegen leicht rückläufig (2025: 11 Prozent,2024: 14 Prozent).
Ausbildungsreife bleibt große Baustelle – Soft Skills zählen
Für die meisten Unternehmen ist klar: Es hapert weniger an den Noten,sondern an den grundlegenden Voraussetzungen für eine gelungene Ausbildung. 87 Prozent der befragten Betriebe stellen Mängel bei Schulabgängerinnen und Schulabgängern fest – vor allem bei Belastbarkeit (64 Prozent),Disziplin (61 Prozent) und Motivation (52 Prozent). Auch mentale Leistungsfähigkeit (54 Prozent) und sprachliche Grundkompetenzen (52 Prozent) lassen aus Sicht vieler Unternehmen zu wünschen übrig.
Besonders wichtig ist den Betrieben ein solides Arbeits- und Sozialverhalten: 93 Prozent bewerten es als (sehr) relevant – deutlich vor schulischen Kenntnissen (67 Prozent) oder IT-Grundlagen,die viele neutral einschätzen. „Noten sind das eine – aber ohne Motivation,Teamgeist und Zuverlässigkeit fehlt die Grundlage für jede Ausbildung“,so Herre. „Wir brauchen dringend stärkere Impulse für mehr Ausbildungsreife – etwa durch praxisnähere Schulbildung,verpflichtende Praktika und gezielte Unterstützungsangebote. Nur so bringen wir Jugendliche und Unternehmen wieder erfolgreicher zusammen.“
Rückzug trotz grundsätzlicher Ausbildungsbereitschaft
Trotz aller Schwierigkeiten bilden 91 Prozent der befragten Betriebe aktuell aus. Doch der Anteil der Nichtausbildungsbetriebe stieg im Vergleich zum Vorjahr leicht um drei Prozentpunkte auf neun Prozent. Herre: „Viele Unternehmen geben die Ausbildung nur schweren Herzens auf – weil sie die jungen Menschen nicht mehr erreichen oder die Bedingungen zu schwierig geworden sind.“
Verhaltene Prognosen für 2025 – Fachkräftesicherung bleibt Motivation
60 Prozent der Betriebe planen für 2025 ein gleichbleibendes Ausbildungsplatzangebot. 26 Prozent wollen weniger ausbilden,nur 14 Prozent mehr – davon viele aus der Banken- und Versicherungsbranche. Als Grund für geplante Ausweitungen wird vor allem der zukünftige Fachkräftebedarf genannt (81 Prozent),daneben positive Geschäftslagen oder das Angebot zusätzlicher Ausbildungsberufe. „Wer ausbildet,investiert in die Zukunft seines Unternehmens“,sagt Herre. „Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist die duale Ausbildung der wichtigste Hebel,um sich langfristig wettbewerbsfähig aufzustellen.“
Auszubildende aus Drittstaaten: Potenziale erkennbar – aber Hürden bleiben hoch
Drei von zehn der befragten Betriebe in Baden-Württemberg haben bereits Auszubildende aus Drittstaaten beschäftigt – vor allem Geflüchtete und junge Menschen,die gezielt für eine Ausbildung nach Deutschland gekommen sind. Weitere 22 Prozent der Betriebe können sich vorstellen,künftig Auszubildende aus dieser Gruppe einzustellen. Die Offenheit ist da – doch auf dem Weg zur erfolgreichen Integration gibt es noch zahlreiche Stolpersteine. „Internationale Auszubildende sind ein wichtiges Potenzial,gerade in Zeiten sinkender Schulabgängerzahlen“,sagt Herre. „Aber die Voraussetzungen müssen stimmen – und dafür brauchen wir die Unterstützung der Politik.“
Denn die Herausforderungen sind erheblich: 76 Prozent der Unternehmen berichten von sprachlichen Schwierigkeiten zu Beginn der Ausbildung,68 Prozent kämpfen mit bürokratischen Hürden bei der Einwanderung und Anerkennung. Auch der Mangel an bezahlbarem Wohnraum– macht es Betrieben schwer,junge Menschen aus dem Ausland erfolgreich auszubilden. „Viele Betriebe wollen ja,stoßen aber an Grenzen,wenn es um Behördenverfahren oder Wohnraummangel geht“,erklärt Herre. „Deshalb ist es so wichtig,dass die Politik die Verfahren vereinfacht und Ausländerbehörden,Betriebe sowie Auszubildende entlastet. Gleichzeitig braucht es verlässliche Partner wie die IHKs,die Unternehmen bei der Abwicklung unterstützen,Orientierung geben und konkrete Lösungen vor Ort mitgestalten.“
Hintergrund zur Umfrage:
Die Umfrage ist Teil der aktuellen bundesweiten „IHK-Onlineumfrage zur Ausbildung 2025“ und wurde gesondert für Baden-Württemberg ausgewertet. Sie liefert Einblicke in die Ausbildungspraxis von 2.940 Betrieben in Baden-Württemberg. Die Betriebe wurden zwischen dem 12. Mai und dem 31. Mai 2025 befragt. Ziel ist es,Herausforderungen und Entwicklungen in der beruflichen Bildung sichtbar zu machen,um Impulse für die politische Diskussion zu geben. Im Fokus: Ausbildungsaktivität,Ausbildungsreife,Drittstaaten-Azubis und Veränderungen im Berufsbildungssystem.
Der Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag (BWIHK) ist eine Vereinigung der zwölf baden-württembergischen Industrie- und Handelskammern (IHKs). In Baden-Württemberg vertreten die zwölf IHKs die Interessen von mehr als 650.000 Mitgliedsunternehmen. Zweck des BWIHK ist es,in allen die baden-württembergische Wirtschaft und die Mitgliedskammern insgesamt betreffenden Belangen gemeinsame Auffassungen zu erzielen und diese gegenüber der Landes-,Bundes- und Europapolitik sowie der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) und anderen Institutionen zu vertreten.
PM Baden-Württembergischer Industrie- und Handelskammertag